Mit der seit 1999 entstehenden Werkgruppe der Fakes
wendet sich Boris Becker innerhalb seiner photographischen Arbeit nach den Architekturthemen und den Feldern dem Bereich der auf den Gegenstand
bezogenen Sachphotographie zu. Unter dem genannten Titel werden Objekte,
die vom Zoll als Schmuggelware, beziehungsweise als Beweisstücke
der Wirtschaftskriminalität sichergestellt wurden, bildnerisch inszeniert
und in den Kontext von Erfahrungswerten unterschiedlicher photographischer
Bildmuster und soziokultureller Zusammenhänge gestellt. Durch ihre
Titelbeigaben und die Form ihrer Inszenierung, die vor einem signalhaft
monochromen Farbhintergrund das Objekt freigestellt repräsentiert,
spannt Boris Becker in diesen jüngeren Arbeiten den Bogen zwischen
ästhetischen Mustern der Werbephotographie und der Beweismitteldokumentation
aus polizeilichen Archiven.
Indem die bildnerischen Inszenierungen der Fakes die Bildmuster der Werbeästhetik
überspitzt zitieren, führen sie gleichzeitig die dekadenten
Ausformungen der durch sie geweckten Bedürfnisse und Wertesysteme
vor. Hierfür sind innerhalb der Werkgruppe Motive mit Fälschungen
von Markenartikeln beispielhaft, wie auf die Trivialisierung und dekadente
Entfremdung von kulturellen Werten auch einige Motive mit Abbildungen
von Souvenir-Landschaftsbildern verweisen. Schon die Darstellungsweise
der Bilder selber führt als oberflächliche Kitschbilder die
Trivialisierung eines ursprünglich kulturell wertvollen Bildgenres
dar. Die Tatsache, daß der Farbe der Bilder Kokain beigemischt wurde,
macht darüber hinaus den Aspekt der Sucht als gesellschaftliches
Problemfeld deutlich.
Ob es sich um einen mit Kokain gefüllten schwarzen Frieseurstuhl
eigenwillig organischen Designs aus Brasilien handelt, um eine mit geschwärztem
Kokain gefüllte Tonerkassette, die handelsüblich eigentlich
mit Tintenpulver gefüllt gewesen wäre und normalerweise für
Kopiergeräte bestimmt ist oder um Zaunpfosten, beziehungsweise einen
künstlichen Kamin, der für das Schmuggeln von Zigaretten verwendet
wurde: die Auswahl der zum Bild gewordenen Gegenstände führt
formalistisch markant die Funktionsentfremdung von Gegenständen vor.
So erweist sich das Vertrauen in die Form als die Funktion transparent
machende Größe bei den Fakes als relativ. Ebenso wie die Photographie
auch bei einem sachlich dokumentarischen Aufnahmeverfahren nur bedingt
die vollständige Wahrheit der Dinge widergeben kann, repräsentieren
die Objekte - hierauf verweist die Titelbeschreibung und das Sichtbarmachen
der Inhalte bei einigen der Arbeiten aus der Werkgruppe - nicht ihre normalerweise
bekannte Funktion. Die Photographie bewegt sich mit ihrem Abbild der Dinge
wie die Objekthüllen der abgebildeten Gegenstände lediglichn auf der Oberfläche einer Wahrheit und Wahrnehmungsmöglichkeit,
deren sinnstiftender Teil durch die Deutung und die Erfahrung der Betrachter
ergänzt werden muß. Ohne die Andeutung im Titel der Arbeiten
wäre die komplettierende Wahrnehmung nicht möglich. "Die
Bürgschaft" die die Photographie für Roland Barthes zu
vermitteln scheint, wenn er schreibt: "jegliche Photographie ist
eine Beglaubigung von Präsenz. 1 Diese Beglaubigung ist das neue Gen, das diese Erfindung in die Familie
der Bilder eingeführt hat, erweist sich in der Werkgruppe der Fakes
von Boris Becker als Fassade hinter der sich weitläufigere Wahrheiten
mit soziokultureller Aussagekraft verbergen. Der farbige Hintergrund wird
zur ästhetisierenden Folie vor der der jeweilige Gegenstand als kriminelles
Derivat inszeniert und als 'künstlich' vorgeführt wird.
Bezogen auf die auf den Gegenstand bezogene Sachphotographie schrieb Ralph
Lindner kürzlich in einem Katalog: "Mit der Vielzahl von Standpunkten,
die gegenüber dem Gegenstand der Betrachtung eingenommen werden können,
geht eine veränderte Wahrnehmung der Beziehung zwischen Subjekt und
Objekt einher. Das Erlebnis des Neuen, das sich einstellt, wenn wir die
Dinge von ihrem Zweck befreien, hat seinen Ursprung in uns selbst. Die
Fotografie nimmt eine solche Umwertung der Dinge vor. Indem sie die Dinge
isoliert und als ästhetische Objekte präsentiert, bietet sie
die Möglichkeit zu den Dingen jenseits ihres alltäglichen Gebrauchs
vorzustoßen. Die Bandbreite der Fotografien reicht dabei von scheinbar
objektiven, sachlichen Aufnahmen bis zu suggestiven oder narrativen Inszenierungen". 2
Diese Umwertung der Dinge und Erfahrung des Neuen im Alltäglichen
erscheint in den Photoarbeiten von Boris Becker bei den Fakes wie auch
den anderen Themenschwerpunkte als wesentlicher Ausgangspunkt seiner Bildsprache.
Eingehend auf die Motiv-isolierende Vorgehensweise, die als ästhetische
Methode wesentlich zu diesem Eindruck beiträgt, beschrieb auch Rupert
Pfab diese Eigenheit in einem früheren Katalog über den Künstler
: "Der große Reiz an Beckers Photographien liegt darin, daß
er sie uns durch die strikte Isolierung seiner Objekte geheimnisvoll macht,
sie uns entfremdet, um uns schließlich neugierig auf sie zu machen,
damit wir sie mit neuer Aufmerksamkeit, gleichsam mit anderen Augen sehen." 3
© 2000 Barbara Hofmann-Johnson, Köln
1.Roland Barthes: "Die helle Kammer. Bemerkung zur Photographie", Kapitel
36: Die Bürgschaft,
S. 95-99. Zitat, S. 97
2.Ralph Lindner, "Die Fotografie, die Dinge und das Spiel der Verführung"
in: reaktionen. 1.1999, Hrsg. Fotografische Sammlung
im Museum Folkwang, Essen, 1999, S. 51f.
3.Rupert Pfab: "Boris Becker, Konstruktionen", in: Boris Becker,
Ausstellungskatalog Städtisches Museum Zwickau,
Zwickau 1995; S- 15
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