Boris Becker artist photographer


FAKES , ein Interview mit Rafael von Uslar, Berlin

Rafael von Uslar: Guten Tag Boris!

Boris Becker: Guten Tag Rafael!

RvU: Deine Photoserie heißt Fakes. Warum?

BB: Unter Fakes ließ sich, für meine Begriffe die Heterogenität der einzelnen Arbeiten am besten umschreiben, ohne eine gewisse Offenheit zu verlieren. Mit dem Begriff Fake verbindet man ja nicht nur in erster Linie eine Fälschung, sondern eher eine Art Gaukelei und die Vortäuschung falscher Tatsachen. So konnte ich die unterschiedlichen Themenansätze in dieser Arbeit, wie Drogenschmuggel, Außenwirtschaftsvergehen, Plagiate, unter einem übergeordneten Begriff vereinen.

RvU: Wie bist Du zu diesem Thema, besser noch in die Asservatenkammer gekommen?

BB: Über einen kommerziellen Auftrag habe ich Kontakt zum ZKA, dem Zollkriminalamt bekommen. Bei der Präsentation dieser kommerziellen Photoarbeiten bin ich durch Zufall auf einige Objekte gestoßen, die zum Schmuggel von Rauschgift dienten und im ZKA gelagert waren. Ich hatte für ein Objekt, einen Frisierstuhl aus Brasilien, auch sofort eine bildnerische Idee. Überraschenderweise hat mir der zuständige Beamte auf meine Nachfrage gestattet, einige Aufnahmen anzufertigen. Aus diesen Anfängen hat sich dann eine Arbeit über einen Zeitraum von drei Jahren entwickelt, in der ich auf immer neue Objekte mit unterschiedlichsten Geschichten gestoßen bin.

RvU: Was ist dies für eine Sammlung? Zu welchem Zweck wird hier Schmuggelgut von der Haselnuss bis zum Siloauflieger aufbewahrt? Dient diese Sammlung Schulungszwecken?

BB: Letzteres  nehme ich mal an. Ich hatte seinerzeit den Hauptkontakt zum Pressesprecher des ZKA. Einzelne Gegenstände, die auch ich photographiert habe, sind dann im Nachhinein auch wiederholt in der Presse aufgetaucht. Soweit mir bekannt finden anhand der unterschiedlichen Versteckmöglichkeiten von Schmuggelgut auch Schulungen statt.

RvU: Wie sind die Dinge untergebracht? Gibt es da eine regelrechte Ausstellung oder wurde alles einzeln für Dich ausgepackt?

BB: Das hat sich ganz unterschiedlich abgespielt. Es gab oder gibt wohl einige Objekte, die Bestandteil der ständigen "Sammlung" des ZKA oder weiterer Polizei- und Zollbehörden sind. Und es gab eine ganze Anzahl an Dingen, die nur vorübergehend gelagert wurden, wie z.B. der von Dir erwähnte LKW - Siloauflieger, der als monströses Schrottobjekt wohl nur für kurze Zeit auf dem Parkplatz des ZKA gestanden hat. Viele Dinge waren auch schon verpackt und ich musste etwas stöbern, um auf sie zu stoßen.
Der größte Anteil der hier angehäuften Gegenstände wird nach Abschluss der zugehörigen Ermittlungen vernichtet. Gern schon mal auf sehr spektakuläre Art und Weise wie im Fall der Vernichtung von gefälschten Luxusarmbanduhren mit einer Planierraupe. Ich vermute mal, dies geschieht in dieser Öffentlichkeit publicity wirksam auch auf Wunsch der geschädigten Firmen.

RvU: Oh schade, gerade beim Siloauflieger hätte ich mir einen dauerhaften Platz in der Sammlung gewünscht. Ein wirklich beeindruckendes Objekt!

BB: Ohne Zweifel.

RvU: Hast Du im Laufe des Projektes mit Deiner Arbeit den gesamten Sammlungsbestand des ZKA künstlerisch dokumentiert oder besteht Deine Auswahl aus einem best of?
Wenn es sich um eine Auswahl handelt, nach welchen Kriterien hast Du die einzelnen Objekte ausgewählt?

BB: Mir ging es eigentlich nie um eine, wie auch immer geartete Dokumentation der Bestände des ZKA. Mir lag viel mehr daran, die in den Objekten liegenden Bedeutungsebenen bildnerisch zu inszenieren. Eine Dokumentation im klassischen Sinn würde ja bedeuten, dass die einzelnen Hintergründe der verschiedenen Objekte, klar zum Tragen kommen. Mir schwebte eher so ein Balanceakt zwischen vordergründigem Verstehen durch Präzision in der Abbildung und gleichzeitiger, totaler Unsicherheit und Nichterkennen können vor. Die eigentliche Auswahl hat sich für mich, vor allem nach den Möglichkeiten einer photographischen Inszenierung gerichtet, d.h. im Vordergrund stand für mich vor allem die Tatsache, dass das Ganze als eigenständiges Bild funktioniert

RvU: Die von Dir „erfassten“ Gegenstände sind derartig divergent - welche Gegenstände hatten in diesem Zusammenhang nicht das Zeug, es vor den farbigen Hintergrund und anschließend vor die Kamera zu schaffen?

BB: Ich habe die Auswahl so getroffen, dass sich die Objekte als "bildwürdig" inszenieren ließen, das heißt Gegenstände, die aufgrund einer interessanten Geschichte in Frage kamen, aber nicht als  optisches Bildelement funktionierten, wurden von mir nicht berücksichtigt. Ebenso gab es eine ganze Anzahl an Wiederholungen, wie z.B. Koffer mit doppeltem Boden, die für mich dann weder von der Geschichte her, noch als Bildmotiv relevant waren.

RvU: Welch ein Gegenstand funktioniert nicht als Bildelement, ist also eines Bildes nicht würdig?

BB: Ich hatte einen Pflasterstein aus Beton in der Auswahl, der aufgrund eines gewissen Zuckergehalts in großen Mengen unter einer mir bis dahin völlig unbekannten EU Zuckersubventionsverordnung durch halb Europa transportiert wurde und nur allein wegen dessen verschwindend geringem Zuckergehalt erhielten die Spediteure eine verständlicherweise völlig unberechtigte Förderung durch die erwähnte EU-Subvention. Die Geschichte fand ich ganz amüsant, nur als Bildmotiv erschien mir dieser Pflasterstein dann doch etwas langweilig. Vielleicht würde ich heute einige Objekte mit anderen Augen sehen und sie dennoch in diese Serie aufnehmen, ganz allein aufgrund der Tatsache, dass sich meine Sichtweise auf die Gegenstände geändert hat, sich andere polizeiliche und soziale Voraussetzungen ergeben haben und mir eine neue Kompositionsmöglichkeit einfällt. Aber da ich diese Arbeit nicht weiter verfolge, werde ich dies nicht mehr neu inszenieren.

RvU: „Die Bildunwürde des Pflastersteins“ Das klingt nach einem interessanten Dissertationsthema. Joseph Beuys, Robert Filliou und Jochen Gerz um hier nur Einige zu nennen, würden Dir in diesem Befund allerdings vehement widersprechen!

BB: Da gebe ich Dir völlig recht und ich bin im Grunde auch ein Liebhaber betonierter Einheiten, aber zu diesem Zeitpunkt fiel mir ganz einfach nichts zu diesem Pflasterstein ein. Vielleicht lag mir das Thema Beton in diesem Zusammenhang auch zu nahe, da ich mich ja in einer früheren Arbeit über Jahre hinweg mit Betonklötzen im Rahmen meiner Arbeit über Hochbunker auseinander gesetzt hatte.

RvU: Vielleicht gibt es in dieser Geschichte dann doch noch mal ein Happy-End und dem Stein wird seine Würde feierlich zurückverliehen. Dir ist klar, dass jetzt alle Leser dieses eine Photo werden sehen wollen?!

BB: Auf jeden Fall!  Und je länger ich drüber nachdenke, so fallen mir eine ganze Reihe von Inszenierungsmöglichkeiten ein. Von der einzelnen isolierten Aufnahme bis hin zu einem all-over einer Fläche von zuckerhaltigen Pflastersteinen.

RvU: Wie süß!

BB: Aber so ist das nun einmal beim Photographieren und überhaupt beim Auslassen von Gelegenheiten. Das nicht aufgenommene Bild und die nicht wahrgenommene Möglichkeit ist im Nachhinein das Interessanteste und man denkt immer etwas wehmütig daran.

RvU: Nun, ich glaube kaum, dass die Sammlung in der Zwischenzeit aufgelöst wurde und Dein Stein wartet ganz bestimmt noch sehr geduldig auf Dich in der Sammlung des ZKA um Dir jederzeit aus Deiner Wehmut zu helfen.

BB: Warten wir doch einfach mal ab.

RvU: Bei den Fakes funktioniert das Bild in vielen Fällen vor allem über den Kontext der Serie. Erst wenn klar ist, dass ein einzelnes Bild aus diesem Zusammenhang kommt, wird es in diesem Sinne lesbar. Dies gilt vor allem für die Objekte, die nicht als entlarvter Gegenstand oder als Manipulation von Vorgefundenem zu erkennen sind.

BB: Ja und nein. Ich habe die einzelnen Aufnahmen schon so angelegt, dass sie für sich alleine stehen können. Einzelne Motive sind allerdings eher dafür prädestiniert, als autonomes Bild wahrgenommen zu werden. Andere erklären sich durch die Einbindung in die Serie. Mir geht es allerdings eher um die Haltung des Betrachters, der hier a priori eine gewisse Skepsis an der Wahrhaftigkeit photographischer Bilder mitbringen muss. Ob das einzelne Motiv jetzt für sich alleine stehen kann oder muss, ist eigentlich zweitrangig. Dafür ist die ganze Serie viel zu heterogen, als dass sich ein Motiv durch das Nebeneinander eines anderen erklären könnte.

RvU: Es ist ja weniger eine Skepsis gegenüber dem Bild, als vielmehr eine Skepsis dem Objekt gegenüber! Die Bilder selbst geben kaum Anlass zum Zweifel. Oder hast Du all diese Objekte erst einmal selbst gebastelt und dann photographiert?

BB: Ich hätte da schon einige Ideen zur fortführenden Umsetzung von Schmuggelideen gehabt. Aber die Phantasie der Drogen-, Zigaretten-, und Alkoholschmuggler ist wirklich nicht zu toppen. Für mich kommen hier zwei Ebenen der Skepsis zueinander; die Skepsis gegenüber dem Objekt und seinem photographischen Abbild. Die Photographie prallt hier regelrecht an der Oberfläche der Objekte ab, das geschieht sicherlich auch bei anderen Motiven, hier wird es nur evident. Bei den mit Kokainfarbe gemalten Bildern, vereint sich ja sozusagen das Abbild mit dem eigentlichen Motiv, es wird nicht zuletzt auch durch die Größe zum Tafelbild und lässt den Betrachter schwanken zwischen dem Schein der photographischen Reproduktion, der Geschichte hinter dem Kitschbild und der Verbindung von Gemälde und Photographie.

RvU: Das Photo zeigt das Gemälde, bildet es ab, vor dem Hintergrund seiner besonderen Geschichte, die in eben dieser photographischen Abbildung thematisiert wird. Ich sehe da also eher ein konstruktives Zusammenspiel. Wo und wie nimmst Du den von Dir so bezeichneten „Abprall“ wahr?

BB: Die photographierten Ölbilder nehmen innerhalb der Fakes - Arbeit mit Sicherheit einen besondern Status ein. Hier "prallt" die Photographie nicht ab, sie verharrt allerdings auch nicht an einer Oberfläche. Durch die Abbildung des Gemäldes und der anschließenden starken Vergrößerung erlangt das gemalte Bild für mich vielmehr eine völlig neue Wertigkeit, die ich gar nicht mal eindeutig beschreiben kann. Manchmal habe ich mir sogar eingebildet, die Ölbilder hätten durch ihre Reproduktion wieder zu sich selbst als autonomes künstlerisches Werk gefunden, unter Umständen sogar losgelöst vom eigentlichen Zweck der Drogenschmuggelei. Wenn ich mir diese großen kitschigen Bilder ansehe, denke ich überraschenderweise mehr an Malerei als an Photographie oder an ein „Fake“.

RvU: Ich habe vor allem an die MalerInnen gedacht und diese sehr eigenwillige Intentionalität die solchem Malakt zugrunde liegt, ganz zu schweigen von dem Umstand dass diese Bilder ganz spezifische Adressaten haben. Ein sehr spannendes Phänomen!

BB: Ganz genau, an die MalerInnen habe ich am meisten gedacht und mir immer wieder versucht vor Augen zu führen, welche Überlegungen da angestellt werden.

RvU: Und was hat es nun mit der Skepsis auf sich, die Du Dir da erhoffst, oder von den BetrachterInnen einforderst.

BB: Diese Skepsis kann ich ja nicht einfordern oder zwingend voraussetzen, bei einigen Bildern erklärt sich der Umstand des gefakten Objekts ja auch von alleine. Bei einigen Bildern wiederum erschließen sich die Zusammenhänge nicht so einfach und da erhebe ich schon den Anspruch, dass sich der oder die BetrachterIn etwas näher mit der Sache auseinandersetzt. Ich hatte ja mit dieser Arbeit nie vor, die Umstände und Hintergründe leicht verständlich zu dokumentieren. Das ist meiner Meinung nach eher die Aufgabe der Presseabteilung des ZKA

RvU: Hast du denn mal über eine konstruktive Zusammenarbeit nachgedacht und angefragt, was die Presseabteilung an informationsreichen Begleittexten zum Bild beisteuern könnte?

BB: Die Informationen die ich für die Bildtitel verwendet habe, stammen ja aus den Hinweisen und Gesprächen, die ich mit der Presseabteilung geführt habe. Alles was darüber hinaus geht, war für mich in dieser Serie eigentlich nicht von weiterführendem Interesse. An einem bestimmten Punkt endet dann auch meine künstlerische Arbeit und ich lasse das Publikum mit meinen Bildern allein. Ich freue mich natürlich sehr, wenn meine Photographien bei dem einen oder anderen etwas bewegen und sei es nur das Interesse an weiter führenden Hintergrundinformationen. Aber da halte ich mich selbst lieber etwas zurück.

RvU: Wie legst Du das Verhältnis von Größe des Bildes in Bezug zur Größe des Objektes fest? Die bereits angesprochenen Malereien zum Beispiel sind in Deinen großformatigen Bildern, ganz offensichtlich larger than life, in jeder Hinsicht.

BB: Die Größe der einzelnen Bilder habe ich eher intuitiv festgelegt. Ich war mir sehr schnell im Klaren darüber, in welchem Format ein bestimmtes Motiv am besten zur Geltung kommt. Dabei hat sich die Bildgröße in erster Linie nach der Größe des abgebildeten Objektes gerichtet.  Für mich hat es keinen Sinn gemacht, kleinere Gegenstände unnötig aufzublasen, um ihnen eine besondere Wertigkeit zuzuteilen. Allerdings gibt es eine ganze Reihe kleinerer Motive, wie eben die Kokainbilder, bei denen ich mir sicher war, dass sie eine gewisse Größe benötigen. Interessanterweise sind gerade diese Motive, ohne den sonst üblich verwendeten monochromen Hintergrund aufgenommen, sondern auf das Motiv beschnitten als allover definiert. Es gibt auch keine unterschiedlichen Größen, wie ich es in anderen Serien durchaus praktiziert habe. Hier lege ich ein Format für ein bestimmtes Motiv ein für alle Mal fest.

RvU: Die Beschneidung der Motive trifft auf einen, das Bild mitkonstituierenden breiten weißen Rand. Welche Bedeutung misst Du diesem bei? Gerade bei den Kokainbildern, aber auch der Computerfestplatte zum Beispiel, kommt diesem weißen Streifen eine wichtige Rolle zu.

BB: Entgegen der Rahmung anderer Werkgruppen, habe ich hier wieder auf eine eher klassische Präsentationsform zurückgegriffen. Der weiße Rand, im übertragenen Sinn ein Passepartout, gibt dem eigentlichen Bildmotiv einen gewissen Halt und Schutz, wozu der dunkelbraune, massive Holzrahmen noch beiträgt. Der auf den ersten Blick verunsichernden Komplexität der Werkgruppe, wollte ich auf diese Art und Weise einen gewissen konservativ anmutenden Unterbau geben.

RvU: Der weiße Rand ist aber weit mehr als ein Unterbau für das Gesamterscheinungsbild der Photographien als gerahmte Objekte. Er greift deutlich in die Motive ein und verändert diese. Das heißt, er ist ein zusätzliches, erzählerisches Moment.

BB: Das verhält sich so unterschiedlich wie in Bezug auf die Objekte, die vor einem monochromen Hintergrund inszeniert wurden oder die Motive, die beschnitten und formatfüllend abgebildet wurden. Hier wie dort, funktioniert das eigentliche Objekt als bildtragendes Sujet auf unterschiedliche Art und Weise. Bei den vor einem Hintergrund photographierten Dingen, bindet der weiße Rand den starkfarbigen Hintergrund und federt ihn sozusagen nach Außen ab, wohingegen bei den formatfüllenden Arbeiten der Blick ganz stark auf das Bildmotiv konzentriert wird.

RvU: Inwiefern ist Dir das konservative Erscheinungsbild in der Präsentation der Serie wichtig? Bildest Du ein Bollwerk gegen all diese gesammelte Ungesetzlichkeit, oder ist es eine Reaktion auf die plakative Banalität der groß ausgebreiteten Gegenstände?

BB: Ja, diese dunklen Rahmen haben etwas von Blockhaus Architektur, aber ich habe mich zu dieser Präsentationsform entschlossen, da ich bei der Divergenz der Objekte in Bezug auf ihr Erscheinungsbild, ihre Geschichte und ihre Inszenierung eine eher prägnante Rahmung bevorzugt habe. Diese Rahmen verwende ich im Übrigen mit einer schmaleren Leiste auch bei den kleineren Objekten, die ein Bildmaß von 50 x 50 cm nicht überschreiten.

RvU: Die Objekte in der Serie handeln von komplexen Strategien des Zeigens und Verbergens. Du hast eine sehr direkte Form der Darstellung dieser Gegenstände gewählt. Die stark farbigen Hintergründe erinnern an veraltete Produktphotographie und die Isolierung oder geschmackvolle Anhäufung von Mehreren, erinnert ebenfalls an eine etwas vergangene Ästhetik von Schaufensterdesign und Publikationen der 60`er Jahre.
Vorhin sprachst Du von einem Abprallen der Photographie an den Objekten. Ich glaube in dieser Direktheit der Darstellung liegt es begründet.

BB: Das glaube ich eigentlich nicht. Dieses Abprallen resultiert nicht aus der historistisch anmutenden Inszenierung, die ich unter anderem gewählt habe, um eine geschönte, designte Darstellung zu vermeiden, sondern allein aus der Tatsache, das hier das Abbild in keiner Weise mit dem abgelichteten Gegenstand und unseren Erwartungsmustern an diese Gegenstände kongruent geht. Das heißt,  die zunächst ausgelöste Assoziationskette z.B. beim Betrachten des Piranha Bildes, führt in eine völlig andere Richtung, als der eigentliche Existenzgrund dieses Piranhas, dem Kokainschmuggel zu Grunde legt.

RvU: Nun der nunmehr gewesene Existenzgrund des Fisches hat wenig mit Drogen zu tun. Hier geht es mehr um das bis heute währende Nachleben seiner Leiche! Aber davon unabhängig: Hier kommen vielmehr Anlage und Thema der Serie ins Spiel. Noch das einfachste Bild eines intakten, harmlosen Gegenstandes wird zum vielversprechenden Suchbild. Denn die Serie lässt uns wissen,  dass es sich hier um einen Fake, also entweder ein Plagiat oder um ein Schmuggelversteck, handeln soll. Und außerdem gibt es da noch den nichtbildnerischen, erzählerischen Teil in Form der Titel der Arbeiten.

BB: Ich hatte auch schon mit dem Gedanken gespielt, Gegenstände in die Serie einzubauen, die überhaupt keine zweite Bedeutungsebene besitzen, die sozusagen ganz bei sich sind, die aber den Betrachter vermuten lassen, das es sich hier auch um irgendwelche Drogenverstecke oder Plagiate handelt.

RvU: Nun, auch die Objekte, die Schmuggelware sind erscheinen als ganz „bei sich“. Das ist eine der Leistungen und unbestreitbaren Stärke Deiner Bilderserie! 
An der Auswahl der Objekte lässt sich erkennen, dass die besten Verstecke unspektakuläre Alltagsgegenstände sind. Insofern hättest du eine schier unendliche Auswahl von Motiven!

BB: Dabei sollte man festhalten: nicht ich habe eine riesige Auswahl an Objekten und Versteckmöglichkeiten zur Verfügung, sondern der internationale Drogenhandel! Ich könnte diese Serie sicher mein Leben lang fortsetzen, aber ich finde es sehr wichtig, irgendwann einmal einen Schlusspunkt zu setzen um zu sagen: Seht: hier ist eine Auswahl, die gleichzeitig eine unendliche Fülle an weiteren Möglichkeiten in sich trägt, ohne dass ich sie alle ablichten muss.

BB: Zum Thema „Suchbild“ kann ich als gutes Beispiel ein Bild aus einer anderen Serie anführen: „Gestohlene Gummistiefel“. Bildmotiv ist ein allover über eine Ansammlung hunderter von Gummistiefeln, die ein offensichtlich psychisch schwer kranker Mann, über mehrere Jahre gestohlen und bei sich  zu Hause gehortet hat. Anlass für diese Arbeit war eine kleine Zeitungsnotiz, die mich sofort auf diese Bildidee brachte. Die bemitleidenswerte Geschichte dieses Mannes, die scheinbat verborgen hinter dem Bild steht, wird dem Betrachter nicht klar. Es bleibt nur ein Vakuum an nicht geklärten Vermutungen, die sich nicht konkretisieren lassen und eine eindeutige Bildinterpretation wird nahezu unmöglich.

RvU: Die Gummistiefel die Du abgelichtet hast, sind es jene, die von dem älteren Herrn gesammelten, oder sind es Stellvertreterstiefel, die für die Geschichte einstehen sollen? Teilst du diese schöne Geschichte - die übrigens kein passionierter Sammler bemitleidenswert finden wird, sondern eher  höchst verständlich...  Teilst du diese Geschichte mit den BetrachterInnen?

BB: Die Stiefel sind in der Tat die von dem Mann gesammelten. Ich bin eigens ins Süddeutsche gefahren, um in einer kleinen Polizeistation, mitten in Oberbayern, diese Gummistiefel zu photographieren. Wie diese Geschichte, so teile ich die weiteren Geschichten, die sich an die Motive knüpfen nicht mit den Betrachtern der einzelnen Bilder. Einzig durch einen etwas ausführlicheren Bildtitel und einer, so hoffe ich, grundsätzlichen Skepsis gegenüber dem Abgebildeten, erschließt sich für den Betrachter der Ansatz dieser Arbeit. Ich denke auch nicht, dass diese sicherlich interessanten Geschichten wirklich weiter helfen. Viel wichtiger erscheint mir dieser uneindeutige Schwebezustand des Nichtinformiertseins.

RvU: Das ist er wieder, der geliebte Skeptizismus, den die BetrachterInnen den Bildern hinterher tragen sollen! Aber ohne Frage, das ist eine sehr schöne Geschichte! Sie hat einiges mit dem zu tun, was dem Sammeln grundsätzlich zu Eigen ist. Jeder Sammler sammelt einmal den Gegenstand und dann auch Irgendjemandes Gegenstand. Das ist immer eine auch diebische Geste, denn wie Heideggersche Erde an den van Goghschen Stiefeln klebt, auch persönliche Vorbesitzergeschichte an einem jeden Gegenstand. Egal, ob diese Geschichte eine bekannte ist oder nicht. So, wie Du in Serien arbeitest, verhältst Du Dich da einem Sammler ganz ähnlich. Die annähernd 700 Bunkerbilder und die ca. 82 Arbeiten der Fakes sprechen für sich!

BB: Ohne Frage liegt hier eine Doppelung vor. Da ist zum einen die Geschichte der Photographie als Akt des Sammelns wie bei Bernd und Hilla Becher. Zum anderen gibt es ein gesammeltes Photo von gesammelten Objekten, die ein passionierter Sammler über Jahre hinweg zusammengetragen hat.

RvU: Zurück zu den Gummistiefeln! Hast Du die Geschichte weiterverfolgt? Was ist aus diesem Sammler, der seine Ernsthaftigkeit im Anliegen eindrucksvoll unter Beweis gestellt hat, geworden?

BB: Der "Sammler" wurde festgenommen und nach Aussage der Polizei einer Therapie zugeführt. Anscheinend war dieser Mann aufgrund seines Verhaltens den Behörden bekannt. Ich durfte diese Sammlung nur photographieren nachdem ich ein Papier unterzeichnet hatte, dass ich diese Arbeit nicht dazu verwende, diesen Mann zu denunzieren oder ihn in der Öffentlichkeit bloßzustellen. Nach Informationen der örtlichen Polizei war die BILD Zeitung schon hinter dem "Fall" her und hat sich für eine andere spektakulärere Story vor Ort entschieden, bei der in unmittelbarer Umgebung ein Reisebus in eine Schlucht gestürzt ist. So hat eine "größere" Katastrophe den Sammler vor einer Verballhornung geschützt.

RvU: Hast Du daran gedacht ihm das Photo seiner Sammlung zu schicken? Ich bin sicher, dass die Polizei ihm diese, als Diebesgut vollkommen missverstanden, entwendet haben wird. Im Angesicht eines solchen Totalverlustes kann ein Bild, das den schon einmal erreichten Ist-Zustand der Sammlung dokumentiert mit Sicherheit etwas sehr tröstendes haben.

BB: Ich habe der Polizei einige Abzüge geschickt, aber mir ist nicht bekannt, ob sie diese Aufnahmen dem "Sammler" gegeben haben.

RvU: Und bist Du darüber informiert, was die Polizei unternommen hat, die Sammlung wieder aufzulösen und die Stiefel an ihre ehemals rechtmäßigen Besitzer zurückzuführen?  - Bei aller Anerkennung für die Rechte der Vorbesitzer, ich würde hier im Sinne des Sammlers argumentieren: Sammlung als Wert rangiert vor ursprünglichen Besitzer- interessen und  - ansprüchen. So schließlich versucht sich ja auch die Stiftung Preußischer Kulturbesitz vor legitimen Ansprüchen und Anfechtungen über die Runden zu retten!  

BB: Ich kann mir nur sehr schwer vorstellen, dass die Gummistiefelsammlung aufgelöst wurde, um die einzelnen Stiefel den Kindern zurück zu geben. Mit Sicherheit hat man diese Anhäufung aber auch nicht zur Schulung von Beamten in der Asservatenkammer aufbewahrt.

 

RvU: Wie im Fall dieses Gummistiefelbildes, scheinen mir auch bei den Fakes die Photographie und Gegenstand begleitenden Geschichten ausgesprochen interessant. Könntest Du Dir vorstellen, sie zugänglich zu machen über ein zweites, nicht photographisches Narrativ, also um eine zum Bild gehörige Textkomponente?

BB: Nein, eigentlich nicht, weil ich wirklich glaube, dass damit ein wesentlicher Bestandteil der Fakes-Serie, in sich zusammenfällt und die Arbeit einen zu dokumentarischen Charakter erhält, den sie gar nicht einlösen kann.
Die Dinge würden damit wieder zu konkret, das heißt sie erfahren eine Einbindung in einen bestimmten Kontext, der meine ursprüngliche beabsichtigte Offenheit und Gratwanderung verhindert. Mir ist eher daran gelegen einen bestimmten Anreiz zu geben, eine Palette an Interpretationsmöglichkeiten zuzulassen, die es unter Umständen dem Betrachter zu ermöglichen, die Bilder mit seinen eigenen Assoziationen in eine Korrespondenz zu setzen.

RvU: Ich glaube nicht, dass sich das Projekt im Dokumentarischen verfangen würde. Hier sprechen wir von Erzählungen, die einen durchaus phantastischen Charakter haben, der im Zusammenspiel mit der beim Betrachter angeregten Phantasie ohnehin das Fiktive streift, wenn nicht gar erreicht. Ein paar dieser möglichen Geschichten  haben es mir besonders angetan. Ich würde in diesem Sinne gerne etwas über einige dieser Gegenstände erfahren.

BB: Nun sind ja schon einige Geschichten über verschiedene Objekte zur Sprache gekommen, wie die Ölbilder, der LKW Siloauflieger oder die Pflastersteine, auch wenn sie selbst nicht in der Fakes - Serie auftauchen. Im Allgemeinen habe ich ja nicht die Gelegenheit, mehr über die Hintergründe preiszugeben und ich vermeide es eigentlich auch ganz gerne, was dann im Gegenzug meistens ein gesteigertes Interesse hervorruft. Hier also noch eine Geschichte zu einem Objekt: Bei der Arbeit: Löschpapier Kokain Kolumbien wurde mit dem abgebildeten Papier eine Kokaintinktur aufgesogen, die dann später wieder mittels einer chemischen Reaktion aus dem Löschpapier herausgelöst werden sollte. Das Ganze ist letztendlich dadurch aufgeflogen, da es den zuständigen Zollbeamten äußerst merkwürdig vorkam, dass man ein vergleichsweise billiges Löschpapier mit erheblichen Portokosten aus Südamerika nach Europa geschickt hat, wobei ein ähnliches Papier hier vor Ort problemlos und preiswert zu erwerben ist.  Besteht in einem solchen Fall ein Anfangsverdacht, wird mit Hilfe eines Indikationsstreifen sehr schnell der eigentliche Inhalt eines Objekts, in diesem Fall des Löschpapiers, ans Licht gebracht.

RvU: Die Fakes sind eine große in Porträts von Gegenständen erzählte Räuber und Gendarm Geschichte. Auch die von Dir photographierten Bunker haben viel mit einem Spiel von oder einer Balance aus Präsenz und Verbergen zu tun. Was fasziniert Dich an diesem Thema?

BB: Ich bin in der Nähe einer Kaserne aufgewachsen und vielleicht liegt darin mein Interesse an einer Camouflage- und Tarntechnik begründet. Darüber hinaus drängt sich dieses Thema der Präsenz und des Verbergens in Bezug auf die Photographie allerdings geradezu auf, wenn sich die Frage nach objektiver Darstellbarkeit von Realität in der Photographie stellt. Dieser Frage bin ich mit Sicherheit nicht von Anfang an bewusst nachgegangen. Im Nachhinein betrachtet, hat sich erst im Laufe meiner Arbeit herauskristallisiert, dass es in erster Linie gar nicht um dieses oder jenes bestimmte Motiv geht, sondern um eine mehr oder weniger kreisende Bewegung um einen künstlerischen, eben oft unbewussten Arbeitsansatz.

RvU: Ohne Zweifel ist es dieses Verbergen in der Photographie, demgegenüber Du Skepsis von den BetrachterInnen in deren Begegnung mit photographischen Bildern so nachdrücklich einforderst?

BB: Die Photographie bewegt sich halt immer auf dem Grat zwischen Offenbarung und Verhüllung und ich kann mich wirklich für das eine und andere begeistern, lasse aber gern das Publikum im Unklaren darüber, unter welcher Prämisse ich dieses oder jenes Motiv abgelichtet habe.


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